Visionen als Plakate

Anders leben - anders arbeiten: Erwerbslose gestalten Alternativen und Visionen im Umgang mit Erwerbslosigkeit

Die Umsetzung der Arbeitsmarktreformen rund um Hartz IV sind für Erwerbslose nicht folgenlos geblieben. So hat die Umstellung von Arbeitslosenhilfe auf ALG II für viele Betroffene zu großen finanziellen Einbußen geführt oder auch dazu, dass unverheiratete Paare sich gegenseitig mitversorgen müssen. Gleichzeitig wurden viele für ein halbes Jahr in Arbeitsgelegenheiten vermittelt, haben oft aber aufgrund der Arbeitsmarktlage anschließend wieder keine feste Anstellung bekommen.
 
Hartz IV hat nur den wenigsten den ersehnten Arbeitsplatz gebracht, stattdessen den meisten Warteschleifen, Bewerbungsauflagen und verschiedene andere Maßnahmen. Im Seminar setzten sich Erwerbslose damit auseinander, wie sich Arbeit und Leben unter den Bedingungen von Hartz IV verändert haben und wie Betroffene diese aktuelle Situation bewältigen können.

Bei einem mehrtägigen Kulturseminar im Jahr 2006 kamen Erwerbslose in Bad Hersfeld zusammen und setzten sich kreativ und inhaltlich mit diesem Themenkomplex auseinander.

Auf der Suche nach Perspektiven

Plakat "Für einen Tag ein König sein"Jenseits von Hartz IV haben sich ganz unterschiedliche Formen des Lebens und Arbeitens entwickelt, die auch vielen Erwerbslosen eine Perspektive eröffnen können. Bei dem Seminar ging es darum, Strategien herauszuarbeiten, eigenes Leben und Arbeiten positiv zu gestalten, auch wenn der ersehnte Arbeitsplatz vorerst verwehrt bleibt. Welche Möglichkeiten gibt es, sich mit reduziertem Budget dennoch eine gewisse Lebensqualität und gesellschaftliche Beteiligung zu erhalten? Wie kann die geleistete, unbezahlte Arbeit in Familie oder das ehrenamtliche Engagement einen höheren Stellenwert erfahren? Welche Ideen gibt es, sich netzwerkartig zusammenzuschließen und gegenseitig zu unterstützen?

Dabei wurden bestehende praktische Beispiele und Ideen gesichtet und diskutiert: das Konzept des Tauschhandels, ein "Umsonst-Laden" in Gießen, das Leben in einer Kommune wie zum Beispiel im hessischen Niederkaufungen oder auch die Gründung von Genossenschaften. Nun galt es, angeregt durch diese Beispiele eigene Ideen, Visionen und Umsetzungsstrategien zu ersinnen, zu entwickeln und kreativ umzusetzen. Dabei bietet die kreative Bearbeitung eines Themas weit flexiblere Möglichkeiten als die Diskussion am "runden Tisch". Innere Bilder, Gefühle, Befindlichkeiten können ihren Platz finden und ausgedrückt werden.Zunächst konnten alle Teilnehmer*innen persönliche "Verwandlungsbilder" erstellen. Jede*r suchte sich ein Foto zur persönlichen Lebenssituation aus einem Bilderteppich aus und gestaltete es nach eigenen Wünschen um. Mit Schere, Stiften und Collagenmaterial konnten die Teilnehmer*innen eigene Visionen auf Papier gestalten und ihnen ein erstes Gesicht geben. In Gruppenarbeit ging es dann an konkretere Ausgestaltung. Welche Bilder und Szenen verbinde ich mit meiner Vision? Was könnten erste Schritte sein? Oder was steht mir im Weg? Drei verschiedene Arbeitsgruppen wurden zur kreativen Umsetzung angeboten.

Foto-Arbeiten

Eine Arbeitsgruppe nahm die Fotografie als Medium zur Beschäftigung mit dem Thema. Hierfür standen den Teilnehmer*innen Digitalkameras zur Verfügung. Am Anfang gab es eine kurze Einführung ins Thema, danach wurden drei Kleingruppen gebildet, die ein kurzes Umsetzungskonzept machten. Zu unterschiedlichen Aspekten wurden nun Foto-Szenen nachgestellt oder gezielt Motive gesucht. Diese wurden am Computer weiterbearbeitet und als Plakate gestaltet. Dabei hatten die Teilnehmer*innen Gelegenheit, ein Bildbearbeitungs- und Präsentationsprogramm kennenzulernen bzw.ihre PC-Kenntnisse einzusetzen und zu vertiefen. Hierfür wurde ausschließlich freie Software (GIMP und OpenOffice) verwendet.

Plakat "besser arbeiten"Talkshow-Sketch in Szene gesetzt

Eine weitere Arbeitsgruppe erarbeitete drei verschiedene Sketche zum Thema. Hier ging es in einer Talkshow um die Vision angemessener Bezahlung, in einer Familie um die Gründung einer selbstständigen Existenz und in einer Landkommune um das Aufbrechen festgefahrener Strukturen. Die Methode des szenischen Spiels eröffnet dabei den Teilnehmer*innen die Möglichkeit, eine bekannte Rolle auszugestalten oder in eine neue Rolle zu schlüpfen. Im Schutz der Rolle kann das erprobt werden, was man sich sonst vielleicht nicht traut. Das Spielen und Ausprobieren unterschiedlicher Strategien eröffnet dabei auch fürs "wirkliche Leben" Wahlmöglichkeiten: im geschützten Raum kann geübt werden, Angst zu überwinden, selbstbewusster aufzutreten und eigene Stärken einzusetzen.

Veränderungs-Ausschnitte

Mit dem Medium Collage beschäftigte sich die dritte Arbeitsgruppe. Ausgangspunkt waren hier die eigenen Visionen und Ideen zur Veränderung und deren Diskussion in der Gruppe. Zusätzlich wurde zur Recherche das Internet benutzt, wodurch die Teilnehmer*innen einen Einblick in Internetsuche gewinnen bzw. bestehende Kenntnisse einsetzen konnten. Aus einer Kombination aus Bild, Text und weiteren Gestaltungselementen entstanden vielfältige Collagen, die zum Weiterdenken anregen. Dabei wurden sowohl eigene Fotos ausgedruckt und verwendet als auch Zeitschriften-Ausschnitte genutzt.

Der Schritt nach draußen

Mit einer Präsentation am letzten Seminartag wurde die Ausstellung samt der eingeübten Theaterstücke erstmals einer ausgewählten Öffentlichkeit gezeigt. Diese Veranstaltung bildet den Auftakt zu weiteren Präsentationen. Weitere Ausstellungen an verschiedenen Orten in Hessen wurden durchgeführt, so zum Beispiel von Oktober bis Dezember 2006 in der Luthergemeinde Frankfurt am Main.

Die Veranstaltung wurde von Holger Wilmesmeier und mir angeleitet und in Zusammenarbeit mit dem Zentrum Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und dem Referat Wirtschaft - Arbeit - Soziales der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck durchgeführt.

Weitere Informationen: Im Seminar erstellte Bildergalerie mit der Plakatserie als Foto- und pdf-Datei sowie Informationsflyer zum Download.